Prof. Harald Walach - 29. April 2020
Veröffentlicht in: Im Fokus, Corona-Krise 2020, Pressemitteilungen, Rezepte
gegen die Angst
Gemeinsame Anfrage an die Fraktionen des Deutschen Bundestages zu den Regierungsmaßnahmen
in der Corona-Krise
Am 28.04.2020 haben sich die Unterzeichner des folgenden Textes auf folgende
gemeinsame Anfrage nach Art. 17 GG an die Fraktionen des Deutschen Bundestages
verständigt. Wenn Sie ebenfalls Antworten auf diese Fragen wollen, dann
können Sie sich an die Fraktionen wenden:
CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag – fraktion@cducsu.de
SPD-Bundestagsfraktion – direktkommunikation@spdfraktion.de
AfD-Bundestagsfraktion – buerger@afdbundestag.de
FDP-Bundestagsfraktion – dialog@fdpbt.de
Fraktion Die Linke im Bundestag – fraktion@linksfraktion.de
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen – info@gruene-bundestag.de
Es genügt ein kurzer Text wie:
Ich schließe mich den Fragen der 5 Lockdown-kritischen Professoren an.
Anfrage nach Art. 17 GG:
Wir sind 5 Professoren verschiedener Fachrichtungen und wir kommen zu der Einschätzung,
dass die Reaktionen der Regierung auf die Covid-19-Pandemie angesichts der davon
ausgehenden Bedrohungen nicht verhältnismäßig sind. Wir bitten
Sie, die am Ende des folgenden Textes, auf den wir uns verständigt haben,
gestellten Fragen im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage an die Bundesregierung
zu richten. Der Text steht unter dem Motto:
Die Schäden einer Therapie dürfen nicht größer sein als
die Schäden der Krankheit
Bei der massiven Einschränkung von Grundrechten hat der Staat eine Bringschuld,
seinen Bürgern die Rechtfertigung immer wieder darzulegen. Dabei ist die
Abwägung des Für und Wider der Maßnahmen nachvollziehbar zu
erläutern. Sie sind nur zulässig, wenn sie zum Schutz eines überragend
wichtigen Rechtsgutes zwingend erforderlich sind, wenn sie verhältnismäßig
sind und es kein milderes Mittel gibt. Maßnahmen, die zur Erreichung des
Zieles nicht geeignet sind, können nicht erforderlich sein, erst Recht
nicht zwingend.
Es wurde bisher keine Abwägung der Folgen der Einführung der Maßnahmen
gegenüber einem Verzicht darauf veröffentlicht. Wir zweifeln an, dass
es diese Abwägung je gegeben hat. Seit Hippokrates‘ Losung „Erstens
nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen“ ist unbestritten,
dass die Schäden einer Therapie nicht größer sein dürfen
als die Schäden einer Krankheit. Das gilt auch, wenn man vor der sprichwörtlichen
Entscheidung zwischen Pest und Cholera steht.
Man sollte bei einer schwerwiegenden Entscheidung die Chancen nutzen, deren
Eintritt einigermaßen wahrscheinlich ist und Risiken vermeiden, deren
Konsequenzen bei einem Eintritt existenzvernichtend wären. Wenn man zwischen
zwei entgegengesetzten Richtungen entscheiden muss, sollte man für beide
Wege die wahrscheinlichen Folgen sowie Chancen und Risiken abwägen. Bei
der Abwägung – sollte sie stattgefunden haben – wurde der enorme
wirtschaftliche Schaden anscheinend nicht berücksichtigt. Es wurde auch
nicht berücksichtigt, dass die Entwicklung eines Medikaments oder Impfstoffes
innerhalb kurzer Zeit ausgeschlossen ist und dass die Lähmung des öffentlichen
Lebens und der Wirtschaft über mehrere Monate unmöglich ist. Die sich
in dieser Situation aufdrängende Problemlösung, über eine fortschreitende
Infektion eines überwiegenden Teils der Bevölkerung eine Herdenimmunisierung
zu erreichen, wurde anscheinend ohne jede Prüfung verworfen.
Die psychischen Schäden lassen sich wirtschaftlich kaum quantifizieren.
Die Schließung von Schulen, Kindertagesstätten und Spielplätzen
schädigt unsere Kinder. Ihre Lernmotivation wird geschädigt und sie
verlernen soziales Verhalten. Ihre Eltern werden zwischen Home-Office, Home-Schooling
und Anspruch, die eigenen Kinder liebevoll betreuen zu wollen, zerrieben. Auch
sie werden die aktuelle Situation nur zeitlich begrenzt aushalten können.
Diese Belastungen erscheinen zudem völlig überflüssig, denn Kinder
und Jugendliche zeigen bei einer Infektion kaum Symptome und in Deutschland
leben sie auch nur sehr selten mit ihren Großeltern in einem gemeinsamen
Haushalt, so dass von ihnen auch keine Infektionsgefahr für sog. Risikogruppen
ausgeht.
Weil es mit der Herdenimmunisierung ein geeignetes und minder schweres Mittel
gibt, wie Schweden beweist, sind die Maßnahmen der Regierung unzulässig.
Es wurde nicht dargelegt, dass die Durchseuchung der Gesellschaft schwerwiegendere
Folgen haben sollte als die Zerstörung der Wirtschaft und insbesondere
der Zusammenbruch des Mittelstandes.
Wir zweifeln an, dass es überhaupt eine besondere Bedrohung der Bevölkerung
und selbst der Risikogruppen gibt. In der Zeit vom 01.01. bis 04.03.2017 sind
im zeitlichen Zusammenhang mit einer Grippewelle in der Altersgruppe ab 80 Jahren
25.243 Personen mehr gestorben als im gleichen Zeitraum des Jahres 2016, in
dem vom Robert-Koch-Institut keine Grippewelle registriert wurde, wobei zur
Vergleichbarkeit der 29.02.16 nicht berücksichtigt wurde. Im Zeitraum vom
13.02. bis 29.03.18 starben während einer anderen Grippewelle 23.971 Menschen
dieser Altersgruppe mehr als im gleichen Zeitraum des Jahres 2016. Zwischen
dem 02.07. und dem 23.08.18 starben während einer Hitzewelle 9.585 Menschen
mehr als im gleichen Zeitraum des Jahres 2016. Zwischen dem 09.03. und dem 24.04.20
wurden vom Robert-Koch-Institut 3.349 Menschen registriert, die im Zusammenhang
mit einer Covid-19-Infektion in den Altersgruppen ab 80 verstorben sind –
seit dem 25.04. werden diese Zahlen nicht mehr veröffentlicht! Selbst wenn
man bei „italienischen Verhältnissen“ hochgerechnet auf die
größere Bevölkerung 6,7fache Todeszahlen als jetzt unterstellen
würde, wäre noch keine Größenordnung wie im Januar/Februar
2017 oder März/April 2018 erreicht, als die Regierung keinen Anlass zum
Handeln gesehen hat und die deshalb auch nicht als bedrohlich eingeschätzt
wurde. Es ist auch nicht bedrohlich, wenn wie in den Jahren 2016 bis 2018 90
% der Verstorbenen 60 Jahre oder älter sind und wenn 96,6 % dieser Altersgruppe
an Krankheiten statt an Unfällen oder Gewalthandlungen stirbt. Bei Covid-19-Infektionen
konnten bisher keine von diesem normalen Verlauf deutlich abweichende Verhältnisse
beobachtet werden.
Wenn es aber keine besondere Bedrohung gibt, sind besondere Maßnahmen
zum Schutz der Bevölkerung unverhältnismäßig. Wenn bei
über 25.000 Toten überhaupt keine Bedrohung vorgelegen hat, dann wird
eine besondere Bedrohung wohl frühestens bei der dreifachen Anzahl* vorliegen
können.
Die Tagesschau vom 21.04.20 zitierte den Basler Pathologe Tzankov: „Natürlich
hätten die Verstorbenen viele Vorerkrankungen und die Lebenserwartung sei
sicher kürzer als die von Gesunden. ‚Aber alle diese Patienten hätten
wahrscheinlich ohne Covid-19 länger gelebt, vielleicht eine Stunde, vielleicht
einen Tag, eine Woche oder ein ganzes Jahr.‘ Ohne das Coronavirus wären
die Verstorbenen, die er obduziert habe, ‚wahrscheinlich noch am Leben‘.“
(https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/corona-obduktionen-103.html)
Die Maßnahmen der Regierung ließen sich verfassungsrechtlich aber
höchstens dann rechtfertigen, wenn damit eine große Anzahl von Menschenleben
nachhaltig gerettet würde. Die Verlängerung einer Sterbephase ist
kein überragend wichtiges Gemeinschaftsinteresse! Sie widerspricht wahrscheinlich
sogar dem Interesse der Sterbenden.
Eine Lebensverlängerung um ein Jahr reicht nicht aus. Sie könnte in
keinem Fall die massenhafte Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz mittelständischer
Unternehmen oder ganzer Branchen (z.B. Gastronomie) rechtfertigen. Die aktuelle
Situation unterscheidet sich grundlegend von der verfassungsrechtlichen Problematik
beim Luftsicherheitsgesetz. Es geht nicht darum, ob der Staat wahrscheinlich
Sterbende aktiv töten darf, um andere Menschen zu retten. Es ist zu fragen,
ob der Staat mit unverhältnismäßig hohem wirtschaftlichen Schaden
und mit massiven Grundrechtseinschränkungen das Leben von wahrscheinlich
Sterbenden verlängern muss, oder ob er nicht Sterbende schneller sterben
lassen darf (bzw. sollte oder muss), um die Grundrechte und die wirtschaftliche
Existenz der Lebenden zu schützen.
Die Maßnahmen der Regierung erscheinen angesichts der enormen wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Schäden, die sie verursachen, auch unverhältnismäßig.
Wenn wegen des überwiegend hohen Alters und der Vorerkrankungen jeder potentiell
Gerettete noch durchschnittlich 1.000 Tage** Restlebenszeit hätte, würden
selbst bei 200.000 vermiedenen Todesopfern nur 200 Mio. Lebenstage gerettet.
Bei einem wirtschaftlichen Schaden von 1.000 Mrd. € wären das 5.000
€ pro gerettetem Lebenstag, und das wahrscheinlich bei stark eingeschränkter
Lebensqualität. Diese hohen Kosten sind durch nichts zu rechtfertigen.
Die Maßnahmen, die einen wirtschaftlichen Schaden in solcher Größenordnung
verursachen, sind deshalb unverhältnismäßig. Zudem ist zu berücksichtigen,
wie viele Menschen durch die unnötige Absage lebenswichtiger Operationen
bereits jetzt zusätzlich verstorben sind und wie viele aufgrund der absehbaren
Kürzung der Gesundheitsausgaben nach einer tiefen Rezession zusätzlich
versterben werden.
Wenn
die Regierung die Rechtfertigung für ihre Maßnahmen nicht dezidiert
darlegen kann, wären sie aufzuheben. Deshalb verlangen wir Antworten auf
folgende Fragen:
1) Welche konkreten Szenarien lagen am 13.03.20 vor, und aus welchen Grund hat
sich die Regierung für Kontaktbeschränkungen und gegen die Herstellung
der Herdenimmunität entschieden?
2) Was waren die Gründe, wegen der die Regierung in der Covid-19-Pandemie
eine Bedrohung für die Bevölkerung sieht, obwohl sich die Sterblichkeit
nicht wesentlich von den alltäglichen Todesfällen unterscheidet und
sie sogar wesentlich niedriger ist als im Januar/Februar 2017, März/April
2018 und Juli/August 2018, als die Regierung keinerlei Aktivität gezeigt
hat.
3) Mit welchen Gründen rechtfertigt die Regierung die hohen wirtschaftlichen
Schäden und die zusätzlichen Sterbefälle, die aus ihren Maßnahmen
resultieren, vor allem unter Berücksichtigung der geringen geretteten Lebenszeit.
4) Was sind die Gründe für die Schließung von Kindertagesstätten,
Kindergärten, Schulen und Hochschule, wenn die Erkrankung doch an jungen
Menschen spurlos vorbeigeht und eine natürliche Immunität möglichst
vieler Menschen eher hilfreich im Kampf gegen noch wenig bekannte Erreger ist?“
Anmerkungen:
*= bis 25.000 keine Bedrohung, 25-75.000 normale Bedrohung, über 75.000
besondere Bedrohung
**= lt. RKI liegt der Altersmedian der Verstorbenen bei 82 Jahren, es sind 58
% Männer (Restlebenserwartung 6,92 Jahre) und 42 % Frauen (8,21 Jahre)
mit Corona-Infektion gestorben, woraus sich eine durchschnittliche Restlebenszeit
von 7,46 Jahren ergibt. Wenn aber bei 75 % wegen der Vorerkrankungen eine Restlebenszeit
von nur noch 365 Tagen unterstellt wird, dann ergibt sich ein gewogener Durchschnitt
von 955 Tagen. 1.000 Tage dürften also nicht zu niedrig geschätzt
sein.
28. April 2020
Prof. Dr. Sucharit Bhakdi, Medizinische Mikrobiologie, Universität Mainz
Prof. Dr. Stefan Hockertz, Toxikologie/Immunologie, tpi consult GmbH, Bollschweil,
ehem. Univ. Hamburg
Prof. Dr. Stefan Homburg, Volkswirtschaftslehre, Universität Hannover
Prof. Dr. Werner Müller, Betriebswirtschaftslehre, Hochschule Mainz
Prof. Dr. Dr. Harald Walach, Psychologie, Universität Witten-Herdecke
siehe auch: https://www.prof-mueller.net/